Advent

Advent feiern heißt warten können;
Warten ist eine Kunst, die unsere ungeduldige Zeit vergessen hat.
Sie will die reife Frucht brechen,
wenn sie kaum den Sprößling setzte;
aber die gierigen Augen werden nur allzuoft betrogen,
indem die scheinbar so köstliche Frucht von innen noch grün ist,
und respektlose Hände werfen undankbar beiseite,
was ihnen so Enttäuschung brachte.

Der nicht die herbe Seligkeit des Wartens, das heiĂźt des Entbehrens in Hoffnung, kennt,
der wird nie den ganzen Segen der ErfĂĽllung erfahren.

Wer nicht weiĂź, wie es einem zumute ist, der bange ringt
mit den tiefsten Fragen des Lebens, seines Lebens,
und wartend, sehnend ausschaut bis sich die Wahrheit ihm entschleiert,
der kann sich nichts von der Herrlichkeit dieses Augenblicks,
in dem die Klarheit aufleuchtet träumen,

und wer nicht um die Freundschaft, um die Liebe eines anderen werben will,
wartend seine Seele aufschlieĂźt der Seele des anderen,
bis sie kommt, bis sie Einzug hält,
dem bleibt der tiefste Segen eines Lebens zweier Seelen ineinander fĂĽr ewig verborgen.

Auf die größten, tiefsten, zartesten Dinge in der Welt müssen
wir warten, da gehts nicht im Sturm, sondern nach den göttlichen
Gesetzen des Keimens und Wachsens und Werdens.

Dietrich Bonhoeffer  (1906 in Breslau – 1945 im KZ FlossenbĂĽrg)
Lutherischer Theologe und profilierter Vertreter der Bekennenden Kirche

Nach oben scrollen