Lyrik

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Advent

Advent feiern heißt warten können;
Warten ist eine Kunst, die unsere ungeduldige Zeit vergessen hat.
Sie will die reife Frucht brechen,
wenn sie kaum den Sprößling setzte;
aber die gierigen Augen werden nur allzuoft betrogen,
indem die scheinbar so köstliche Frucht von innen noch grün ist,
und respektlose Hände werfen undankbar beiseite,
was ihnen so Enttäuschung brachte.

Der nicht die herbe Seligkeit des Wartens, das heißt des Entbehrens in Hoffnung, kennt,
der wird nie den ganzen Segen der Erfüllung erfahren.

Wer nicht weiß, wie es einem zumute ist, der bange ringt
mit den tiefsten Fragen des Lebens, seines Lebens,
und wartend, sehnend ausschaut bis sich die Wahrheit ihm entschleiert,
der kann sich nichts von der Herrlichkeit dieses Augenblicks,
in dem die Klarheit aufleuchtet träumen,

und wer nicht um die Freundschaft, um die Liebe eines anderen werben will,
wartend seine Seele aufschließt der Seele des anderen,
bis sie kommt, bis sie Einzug hält,
dem bleibt der tiefste Segen eines Lebens zweier Seelen ineinander für ewig verborgen.

Auf die größten, tiefsten, zartesten Dinge in der Welt müssen
wir warten, da gehts nicht im Sturm, sondern nach den göttlichen
Gesetzen des Keimens und Wachsens und Werdens.

Dietrich Bonhoeffer  (1906 in Breslau – 1945 im KZ Flossenbürg)
Lutherischer Theologe und profilierter Vertreter der Bekennenden Kirche

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Meditation

Foto: Iria Schärer

.
Gedanken nicht festhalten!
Sie wie Wolken vorbeiziehen lassen.

Gestern ein Wolkengebirge,
heute ein Wolkenmeer,
wann ein klarer Himmel?

Margit Kraak

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Mein Atem geht –

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Foto: Helga Segatz, München

Mein Atem geht –
Was will er sagen?
Vielleicht: Schau! Hör! Riech! Schmeck! Greif! Lebe!
Vielleicht: Gott atmet in dir mehr als du selbst,
und auch in allen Menschen, Tieren, Pflanzen atmet
                                                           er wie in dir
und so Freude den Sinnen!
Lust der Geschöpfe!
Friede den Seelen!

Kurt Mati

 

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Ein bisschen mehr Friede …

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Foto: Henner Weinschenk, München

 

 

Ein bißchen mehr Friede
Und weniger Streit;
Ein bißchen mehr Güte
Und weniger Neid;
Ein bißchen mehr Wahrheit
Immerdar
Und viel mehr Hilfe
Bei jeder Gefahr.

 


Ein bißchen mehr Wir

Und weniger Ich;
Ein bißchen mehr Kraft,
Nicht so zimperlich.
Ein bißchen mehr Liebe
Und weniger Haß;
Ein bißchen mehr Wahrheit-
Das wäre doch was!

Statt immer nur Unrast
Ein bißchen mehr Ruh’;
Statt immer nur Ich
Ein bißchen mehr Du.
Statt Angst und Hemmung,
Ein bißchen mehr Mut
Und Kraft zum Handeln,
Das wäre gut!

Kein Trübsal und Dunkel,
Ein bißchen mehr Licht;
Kein quälend Verlangen,
Ein froher Verzicht –
Und viel, viel mehr Blumen
Während des Lebens
Denn auf dem Grabe
Blüh’n sie vergebens.

Peter Rosegger, 1843 – 1918

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Emily Elizabeth Dickinson

Foto Helga Segatz

Die Hoffnung ist das Federding,
das in der Seel’ sich birgt
und Weisen ohne Worte singt
und niemals müde wird.

Am süß’ten klingt es in den Bö’n –
und schlimm der Sturm der kränkt
und Schaden bringt dem Vögelchen,
das soviel Wärme schenkt.

Ich hab’s auf fremd’ster See gehört
und auf der kält’sten Flur;
doch nie hat’s in Gefahr begehrt
von mir ein Körnchen nur.

 

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Werner Bergengruen

Foto: Michael Seyffer, Leipzig

Was dem Herzen sich verwehrte,
laß es schwinden unbewegt:
Allenthalben das Entbehrte     
wird dir mystisch zugelegt.
Liebt doch Gott die leeren Hände,
Und der Mangel wird Gewinn.
Immerdar erweist das Ende
sich als strahlender Beginn.
Jeder Schmerz entläßt dich reicher,   
preise die geweihte Not.
Und aus nie geleertem Speicher
nährt dich das geheime Brot. 

 Werner Bergengruen (1892 – 1964)

 

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Dag Hammarskjöld

Foto: Sonja Bojko, Berlin

Jeder Tag der Erste-
Jeder Tag ein Leben.
Jeden Morgen soll die Schale unseres Lebens
hingehalten werden,
um aufzunehmen,
zu tragen
und zurückzugeben.
Leer hinhalten,
denn was vorher war,
soll sich nur spiegeln
in ihrer Klarheit, ihrer Form, ihrer Weite

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Abel steh auf

Foto: Michel Seyffer, München
Michael Seyffer, München

Abel steh auf, es muss neu gespielt werden
täglich muss  es neu gespielt werden
täglich muss die Antwort noch vor uns sein
die Antwort muss ja sein können wenn du nicht aufstehst
Abel wie soll die Antwort diese einzige wichtige Antwort sich je verändern wir können alle Kirchen schließen und alle Gesetzbücher abschaffen in allen Sprachen der Erde wenn du nur aufstehst und es rückgängig machst
die erste falsche Antwort auf die einzige Frage auf die es ankommt steh auf damit Kain sagt damit er es sagen kann Ich bin dein Hüter Bruder wie sollte ich nicht dein Hüter sein
Täglich steh auf damit wir es vor uns haben dies Ja ich bin hier ich dein Bruder Damit die Kinder Abels sich nicht mehr fürchten weil Kain nicht Kain wird Ich schreibe dies ich ein Kind Abels und fürchte mich täglich vor der Antwort die Luft in meiner Lunge wird weniger wie ich auf die Antwort warte

Abel steh auf
damit es anders anfängt
zwischen uns allen

Die Feuer die brennen
das Feuer das brennt auf der Erde
soll das Feuer von Abel sein

Und am Schwanz der Raketen
sollen die Feuer von Abel sein

Hilde Domin

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Marc Aurel

Foto: Henner Weinschenk, München

Nach der Beschaffenheit
der Gegenstände,
welche du dir am häufigsten vorstellst,
wird sich auch
deine Gesinnung bilden,
denn von der Vorstellung
nimmt die Seele ihre Farbe an.

 

 

 

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Leben

Foto: Helga Segatz

 

Leben heißt nicht nur Atem holen;
Es heißt handeln;
Es heißt: Gebrauch machen von unseren Organen,
von unseren Sinnen, von unseren Kräften,
von allen Teilen unseres Selbst,
die uns das Bewusstsein unserer Existenz geben.
Der Mensch,
welcher am meisten gelebt hat, ist nicht derjenige,
der die meisten Jahre gezählt hat,
sondern derjenige,
der das Leben am stärksten gefühlt hat.
 

Jean Jaques Rousseau

 

 

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Der Seufzer

Der Seufzer, der steigt aus dem Herz auf – ist immer wirksam.

Er hat keine Flügel, aber er ist sicherlich fähig zu fliegen und
die Himmel zu erreichen.

aus Pakistan

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