Atemtherapie in den Wechseljahren

von Helga Segatz

„Mit 50 ist das Geburtstor endgültig verschlossen, und das andere tut sich auf“, sagte mir eine Patientin anlässlich ihres 55. Geburtstages. Gemeint hat sie damit, dass nun ein Abschnitt vorbei ist und ein neuer beginnt. Eine gute Zeit, Bilanz zu machen, den eigenen Standpunkt und die bislang getroffenen Entscheidungen zu prüfen. 
Bis zum 30. Lebensjahr stellen wir uns für unser Leben auf: Schulabschluss, Lehre, Studium, Beruf, möglicherweise ist auch schon ein Partner fürs Leben gefunden, mit dem man bereits Kinder hat oder haben möchte. Im Hebräischen ist das Wort für Tisch schulchan aus dem Wort sch-l-ch gebildet, welches „schicken“ bedeutet. Nach der Thora schickt uns der Himmel am „Tisch des Lebens“ die Nahrung. Diese Nahrung, das uns Zugeschickte, ist unser Geschick, unser Schicksal. Es wird in kleine Brocken von Zeiteinheiten aufgeteilt, die uns nun in Form von Begegnungen mit Menschen, Gedanken, Büchern „geschickt“ werden und uns zu der Persönlichkeit formen, der wir mit 50 Jahren im Spiegel begegnen.

Mit 50 öffnet sich ein neues Tor, aber man nimmt es nicht immer wahr.

Erst einmal scheinen viele Dinge im Äußeren abgeschlossen zu sein: Wer bin ich, was habe ich erreicht, was habe ich versäumt, was möchte ich noch erleben? Ist mein Alltag so, dass ich mir vorstellen kann, die nächsten 20, 30, 40 Jahre ähnlich weiter zu machen, oder fehlt mir was? Vielleicht hat sich der Wunsch nach Familie, Kind oder Karriere nicht so erfüllt, wie ich es mir gewünscht habe. Wenn doch, bin ich damit zufrieden? Reicht es mir? Möglicherweise haben die Kinder das  Haus verlassen, und es ist wieder Platz da, der gefüllt werden möchte. Man fragt sich, womit und wird vielleicht unruhig. Oft fangen Frauen an zu studieren, entdecken eine kreative Ader, die lange in ihnen schlummerte, beleben alte Freundschaften, reisen. Manchmal fühlt sich der Beruf an wie ein nicht mehr passendes Kleidungsstück – man sehnt sich nach Lebendigkeit, nach Neuem, oder einfach nur nach etwas anderem und begibt sich auf die Suche. Nicht selten hat der Lebenspartner ähnliche Sehnsüchte. Bei Männern nennt man das Midlifecrisis, Frauen sind im Wechsel. Eigentlich ein schönes Wort, das Bewegung verspricht.

Der Übergang in das letzte Lebensdrittel ist bei Frauen begleitet durch einen Rückgang der Östrogenproduktion und damit Abnahme der Fruchtbarkeit. Ein Wechsel tritt ein, der im Körperlichen seinen Abschluss findet durch das Fehlen der monatlichen Regelblutung. In der Zeit des Übergangs treten Wechselbeschwerden auf, die den Frauen unterschiedlich zu schaffen machen. Am bekanntesten sind dabei die Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Schlaflosigkeit, trockene Schleimhäute (in Nase und Scheide), Abnahme der Leistungskraft und/oder allgemeine Unlustgefühle. Ein Drittel der Frauen haben so starke Wechseljahrsbeschwerden dass sie medizinische und pharmazeutische Hilfe benötigen, die nicht immer helfen. Ein Drittel hält die die Beschwerden dagegen für nicht behandlungs¬bedürftig, und ein Drittel der Frauen haben keine nennenswerten organischen und vegetativen Beschwerden.
Ein Wechsel ist angesagt – nicht nur auf der körperlichen Ebene.

Wie kann Atemtherapie in den Wechseljahren die Frauen unterstützen?

Eine von mir dazu befragte Kursteilnehmerin erklärte: „Atmen war für mich in den Wechseljahren eine sehr gute Unterstützung, vor allem bei der „Fliegenden Hitze“. Ich war ja  froh, mich nicht mehr um Verhütung kümmern zu müssen, und weil ich vorher ewig Blutungen hatte, fand ich es schön, dass es vorbei war. Melancholie, weil es kein Kind mehr geben würde, hatte ich vorher, wenn meine Tage kamen. Aber wollte ich mit fast 50 noch ein Kind? Eigentlich nicht. Ich wollte mich nicht „wegschwemmen“ lassen, sondern Eigenes einsetzen. In der Atemgruppe lernte ich tief durchzuatmen und bis zehn zu  zählen, dann war die Wallung meistens schon am Abebben.  Die Wallung zu studieren, zu schauen, wann sie wo kam. Es war  übrigens oft in Situationen, die mir nicht gefielen, ein kleines Warnsignal sozusagen, und wenn ich darauf hörte und mich von der Situation innerlich und/oder äußerlich entfernte, belohnte mich mein Körper mit Wohlbefinden und tiefen Atemzügen.
Beim Atmen in der Gruppe habe ich gelernt, nicht in Panik zu geraten, sondern geduldig zu bleiben und hinzuspüren, wie lange die Wallung dauert, wie sie verläuft. Ich habe mich mit diesen Wellen angefreundet, bin mit ihnen mitgegangen. Es ist wie beim Wetter, es verplempert Energie, sich über etwas aufzuregen, was man eh nicht ändern kann, und je mehr man sich dagegen wehrt oder kämpft, desto schwieriger wird es.
Wenn mir grundlos heiß wurde, sagte ich mir, ach ja, das ist wohl eine Hitzewallung, wie interessant, und ich atmete da rein, fühlte, was in meinem Körper geschah, und fand das gar nicht unangenehm, nur eben interessant, manchmal sogar spannend. In der Atemgruppe habe ich erfahren, wie wichtig es ist, nach innen zu horchen und dabei meinem Gefühl  zu vertrauen. Es hat mich darin bestärkt, z.B. an die frische Luft zu gehen ,doofe Gespräche zu vermeiden oder abzukürzen, manche Einladungen abzulehnen –  also mehr das zu tun, was ich innerlich für richtig hielt – und nicht etwas „auszuhalten“ was ich gar nicht wirklich wollte. Eine neue Form von „Selbst-Bewusst-Sein“ stellte sich ein. Ich habe nichts genommen, weder Hormone noch Pflanzliches, hatte aber auch keine dramatischen Schwitzanfälle, bei welchen die ganze Kleidung nass wird. 
Wenn mir nachts heiß wurde und ich ins Schwitzen geriet, was übrigens  heute noch passiert, genieße ich es wie ich Sauna, Dampfbad und Tropen genießen kann. Ich glaube, dass ich gern schwitze und gern den Schweiß auf meinem Körper verteile, es hat für mich einen sinnlichen Charakter, wie wenn ich mich schön eincreme. OK, die Bettwäsche muss man öfter wechseln, bzw. morgens das Bett richtig ausdampfen lassen …
Ich bin fetter geworden, ob es an dem Wechsel lag? Feinfühliger, ehrlicher, selbstsicherer, frecher und  eckiger. Alte Frauen müssen sich nicht benehmen, nicht wahr? Wobei ich mich mit 58 kein bisschen alt fühle, sondern voller Energie und sogar mein erotisches Leben ist neuerdings viel lustvoller als vorher geworden.“

Der Zusammenhang zwischen Atmung und vegetativem Nervensystem oder anders ausgedrückt zwischen Körper und Seele wird z.B. deutlich, wenn man sagt: „Ich bin bewegt“ und damit meint, dass etwas in einem durch ein Wort, eine Begegnung, einen Klang oder auch eine Berührung in Bewegung geraten ist. Der Atem fließt dann vielleicht etwas schneller oder stockt, oder es steigen gar Tränen auf. In so einem Moment wird etwas in einem aufgerüttelt, und diese innere Bewegtheit tritt ins Bewusstsein. 
Im Sprachgebrauch drückt man es aus, wenn man sich „atemlos“ fühlt, etwas Schönes „atemberaubend“ empfunden wird oder man sich mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung zurücklehnt. Man spricht von einem „langen Atem“, den man in so manchen Lebenslagen benötigt hat! Redewendungen, die zeigen, das Atmen weit mehr ist als Luftholen. Wie ein Mensch denkt, fühlt und handelt, spiegelt sich in seinem jeweiligen Atemmuster wider. Dieses bewusst zu spüren, es für „wahr“ zu nehmen und in Beziehung zur eigenen Lebens¬situation zu setzen, ist oft der Beginn einer Entwicklung, die dazu führen kann, innere Ruhe zu finden und mehr Freude und Lebendigkeit im Alltag zu erleben.
Nun kann man stundenlang vom Atem lesen, ohne einen Gewinn davon zu haben – wenn man ihn nicht am eigenen Leib erfährt. Wenn Sie wollen, suchen Sie sich einen ruhigen, ungestörten Platz und setzen Sie sich auf das vordere Drittel eines Stuhls oder Hockers. Schließen Sie die Augen und spüren Sie hin zu Ihren Sitzbeinhöckern: das sind die Knochen, die Sie spüren, wenn Sie Ihr Gewicht auf dem Gesäß verlagern. Nun lassen Sie eine kleine Schwingungsbewegung in Ihrem Rumpf entstehen – so, als würde Sie ein Wind bewegen. Das ist keine große Bewegung! Keine Arbeit! Seien Sie in der Bewegung spürsam anwesend – so kann sie sich mehr und mehr befreien. Die Bewegung wird Sie über Ihre Sitzbeinhöcker führen, um sie herum, nach vorne, hinten oder seitlich, diagonal und manchmal auch nach hinten zum Steißbein. Lassen Sie sich bewegen, solange es Ihnen gefällt. Wenn es genug ist, kommen Sie langsam zurück in die Ruhe. Wichtig ist es, nun die Bewegung wirklich alleine zur Ruhe kommen zu lassen und sie nicht willentlich stoppen. Möglicherweise können Sie nun im Nachhinein noch ein stilles inneres Nachschwingen in Ihrer Wirbelsäule spüren. Eine innere Bewegung, die angebunden ist an Ihren inneren ureigensten Rhythmus. Lauschen Sie!

Mehr über die Wechseljahre erfahren Sie unter www.wechselzeit.de,  Portal für Frauen in den Wechseljahren
 

Nach oben scrollen